Paul Nizon wurde 1929 geboren und wuchs als Sohn einer Schweizerin und eines russischen Emigranten in Bern auf. Nach dem Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Germanistik, das er mit einer Promotion zu Vincent von Gogh abschloss, arbeitete Nizon als Assistent im Historischen Museum in Bern. 1961 wurde er leitender Kunstkritiker bei der Neuen Zürcher Zeitung. Bereits ein Jahr später entschied er sich allerdings für ein Leben als freier Schriftsteller. Sein Debüt als Autor hatte er bereits 1959 mit den Prosastücken Die gleitenden Plätze gegeben. Der endgültige literarische Durchbruch gelang ihm 1975 mit dem Roman Stolz. Nach Aufenthalten in München und in Berlin, wo er unter anderem Gast der Gruppe 47 war, liess er sich 1977 endgültig in Paris nieder. In den 1980er-Jahren war Nizon Gastdozent an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main und an der Washington-Universität in St. Louis, Missouri. Mit seinen Romanen, Erzählungen, Essays und Journalen wurde Nizon zu einem bedeutenden europäischen Schriftsteller. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, unter anderem wurde er von der französischen Regierung zum Chevalier des französischen Ordens des arts et des lettres ernannt, ausserdem konnte er den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur entgegennehmen. 2014 wurde er mit dem Grand Prix Literatur vom Bundesamt für Kultur ausgezeichnet.
Bevor Nizon Paris zu seiner
Wahlheimat machte und die französische Metropole zum wichtigsten Schauplatz seiner
Texte wurde, war Italien sein literarischer Fluchtpunkt. Im Januar 1950, kurz
nach Abschluss des Gymnasiums, reiste der zwanzigjährige Nizon erstmals nach
Kalabrien und auf die Insel Ischia. «Nach Italien war ich ausgereist, gleich
nach Abschluß der Schulen», lautet auch der erste Satz seines 1959 erschienenen
Erstlings Die gleitenden Plätze, der mit
einer Reise nach Sizilien beginnt. Italien markiert gewissermassen den Beginn
von Nizons literarischem Schaffen. Das südliche Nachbarland war Austragungsort
des für Nizons Frühwerk prägenden Konflikts zwischen dem Schriftsteller einerseits
und dem Kunsthistoriker und -kritiker andererseits. So aufreibend dieses
Verhältnis für den Autor auch war, so produktiv wirkte es sich letztlich auf seine
frühe Textproduktion aus. Eine weitere wichtige Quelle für Nizons Italienbild
war neben der Kunstgeschichte auch der italienische Film, insbesondere das Werk
Federico Fellinis.
Im Jahr 1960 hielt sich Nizon für ein Jahr als Stipendiat am Istiuto Svizzero
in Rom auf. Während dieses Aufenthalts verfasste er zahlreiche Feuilletonbeiträge
und Artikel über den römischen Kunstbetrieb. Für Nizons Rom-Bild
aufschlussreich sind vor allem die drei Kunstbriefe aus Rom und das
Feuilleton Römisches, die er zwischen August und
November 1960 in der Neuen Zürcher Zeitung
veröffentlichte. Diese Momentaufnahmen aus dem römischen Leben gehören zu den differenziertesten
Sittenbildern unter Nizons Italientexten. Teile davon gingen später auch in Canto (1963) ein, in jenen Roman, den der Autor verfasste,
als er Ende 1961 die nach der Rückkehr aus Rom angetretene Stelle als
Kunstkritiker wieder aufgab und mit dem Suhrkamp Verlag einen Vertrag für ein
Manuskript abschloss. Nizon bezeichnete sein Rom-Buch als rauschhaft
hingeworfene «Aktionsprosa» (Paul Nizon, «Aktionsprosa».
Bemerkungen zu einer neuen Erzählhaltung, S. 61f .) Eine genauere textgenetische Analyse zeigt allerdings, dass der
Autor darin zahlreiche Fragmente seiner kunstkritischen und feuilletonistischen
Zeitungsartikel montierte. Rom war nicht nur Nizons «künstlerische
Geburtsstadt», sondern auch Ausgangspunkt für dessen definitiven Wechsel von
der Kunstgeschichte zur Literatur (Paul Nizon, Vanitas und Fatalismus oder
die Entdeckung des Barbaren in mir selbst, S. 59). Genau wie Canto, lebt aber auch der einige Jahre später
entstandene Roman Stolz (1975)
gerade von der kunsthistorischen Bildung seines Autors. In Stolz steht Italien, zugleich Bildungs- und Lebensland,
für die verpasste Möglichkeit eines ganz anderen Lebens. Der Protagonist Ivan
Stolz geht nach einem kurzen Ausbruch nach Süditalien an einer Studienarbeit
zugrunde, die Nizons kunsthistorischer Dissertation bis in die
Kapiteleinteilung gleicht. Stolz lehnt alle in institutionellem Rahmen vermittelte
Bildung als lebensfeindlich ab. Die Lebenssuche zieht sich als Motiv wie ein
roter Faden durch das Werk des Autors und die akademische Bildung wird dabei zum
für die Protagonisten unüberbrückbaren Hindernis hochstilisiert.
Auch nachdem der Schriftsteller seinen Lebensmittelpunkt nach Paris verlagert
hatte, zog es ihn wieder nach Italien zurück. So verbrachte er beispielsweise 1979
einen längeren Aufenthalt in Serrazzano in der Toskana.
Quellen
- Pino Dietiker, Bildungsfluchten mit Bildungsgepäck. Paul Nizons Italienreisen zwischen Literatur und Kunstgeschichte, in: Corinna Jäger-Trees und Hubert Thüring (Hg.), Blick nach Süden. Literarische Italienbilder aus der deutschsprachigen Schweiz, Schweizer Texte, Neue Folge, Band 55, Zürich: Chronos, 2019, S. 241–260.
- Eintrag zu Paul Nizon auf Bibliomedia, http://www.svbbpt.ch/de/autoren/Nizon_Paul/645.html (4.7.2019).
- Eintrag zu Paul Nizon auf literapedia bern. Das Lexikon der Berner Schriftstellerinnen und Schriftsteller, https://www.literapedia-bern.ch/Nizon,_Paul (4.7.2019).
- Paul Nizon, «Aktionsprosa». Bemerkungen zu einer neuen Erzählhaltung,in: Das Wort. Literarische Beilage zu «Du-Atlantis»,1 (Januar 1965).
- Paul Nizon, Vanitas und Fatalismus oder die Entdeckung des Barbaren in mir selbst, in: Flavia Arzeni (Hg.), Il viaggio a Roma. Da Freud a Pina Bausch, Rom: Edizioni di Storia e Letteratura, 2001, S. 59–62.
- Helen Lagger, «Ich bin ein Fassadenfresser!», in: Berner Zeitung (10.4.2018), https://www.bernerzeitung.ch/kultur/buecher/ich-bin-ein-fassadenfresser/story/13769224 (4.7.2019).
- Archiv Paul Nizon, Schweizerisches Literaturarchiv (SLA), Bern.