Der Autor, Publizist und Übersetzer Ossip Kalenter (1900–1976) wurde als Johannes Burkhardt in Dresden geboren. Bereits während seines Studiums der Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie in Heidelberg und Leipzig veröffentlichte er erste Bücher, hauptsächlich Gedichtbände. Ausserdem war Kalenter bereits in jungen Jahren im Journalismus tätig: Von Hugo Marti gefördert, schrieb er sowohl für die Weimarer Republik, die Frankfurter Zeitung, das Berliner Tagblatt als auch für die Neue Zürcher Zeitung, die National Zeitung oder die Basler Nachrichten. 1924 reiste Kalenter ohne Studienabschluss nach Italien, wo er die folgenden Jahre als freischaffender Journalist tätig war. Ab 1934 lebte er in Prag und arbeitete in der Redaktion des Prager Tagblatts. Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten 1939 floh Kalenter in die Schweiz. Als Exilant wurde ihm von den Schweizer Behörden während der Kriegsjahre ein Arbeitsverbot auferlegt. Unter wechselnden Pseudonymen veröffentlichte er dennoch weiterhin in den Feuilletons diverser Schweizer Zeitungen und Zeitschriften. Nach 1946 arbeitete er als Auslandpressevertreter in Bern und erhielt 1956 die Schweizer Staatsbürgerschaft. Aufgrund der schwierigen politischen Umstände mussten grössere literarische Arbeiten bis 1950 hinter Kalenters journalistischer Tätigkeit und seinen Übersetzungen aus dem Englischen, Französischen und Italienischen zurücktreten. Die ab 1950 entstandenen Prosawerke, in denen ein neuer, eigener Stil erkennbar ist, erschienen alle im Werner Classen Verlag. Ab 1945 war Kalenter Sekretär des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller im Ausland und von 1957 bis 1967 Vorsitzender des P.E.N-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland.
Der Süden – das Tessin und insbesondere Italien – bildeten für Kalenter den biografischen und literarischen Fluchtpunkt. Als freischaffender Publizist lebte und arbeitete er zwischen 1924 und 1934 verschiedenen Orts in Italien. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges reisten Kalenter und seine Ehefrau Ellen Burkhardt-Fischer wieder beinahe jährlich nach Italien. Für die Verarbeitung seiner Reiseerfahrungen griff Kalenter auf verschiedene Textgattungen zurück: So publizierte er nicht nur Reisefeuilletons und Erzählungen, sondern führte auch regelmässig Tagebuch. Bereits von seiner ersten Reise im Jahr 1924 sind drei Hefte eines Italienischen Tagebuchs erhalten, die Reise- und Arbeitsjournale zugleich sind. Insbesondere in den nach dem Krieg entstandenen Tagebüchern verzeichnete Kalenter in buchhalterischer Manier alles Erlebte und Gesehene und listete pedantisch die Eckdaten der unternommenen Reisen auf. Insgesamt befinden sich im Nachlass Ossip Kalenters im Schweizerischen Literaturarchiv rund vierzig im Tessin oder in Italien entstandene Tagebücher.
Kalenters Tagebücher stehen im
Gegensatz zu seinen über Italien verfassten Feuilletons, in denen der profunde
Italienkenner nur vereinzelt Anspielungen auf die Tagesaktualität machte und in
einer Art «Entzeitlichung» (Beitrag von Lucas Marco Gisi, im Buch S. 166) das
Ideal einer schönen Landschaft und eines natürlichen Lebens stilisierte.
Kalenter widmete sich in seinen italienischen Feuilletons nicht dem politischen
Geschehen, sondern dem idyllischen, zeitlosen Landleben Italiens. In seiner
Rolle als müssiger, humorvoller Betrachter entwarf Kalenter das Bild einer aus
der Zeit gefallenen Kultur.
Seine Reisefeuilletons aus beinahe vier Jahrzehnten versammelte Kalenter in
drei in den 1950er-Jahren erschienenen Buchpublikationen. Kalenter, der seine Feuilletonbeiträge
nach der Erstveröffentlichung weiter bearbeitete und wiederholt in
verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und der
Schweiz publizierte, arrangierte auch in seinen Italien-Büchern in erster Linie
ältere, umgearbeitete Texte. Die Entstehungsgeschichte von Die Abetiner
(1950) reicht bis in die frühen 1930er-Jahre zurück. Wegen des
Publikationsverbots blieb das Buch lange Zeit liegen und wurde nach Ende des
Zweiten Weltkrieges zunächst von verschiedenen deutschen Verlagen abgelehnt. Als
das Buch schliesslich bei Classen veröffentlich wurde, fand es ein breites
Echo. Fünf Jahre später publizierte Kalenter mit Von irdischen Engeln und
himmlischen Landschaften (1955) ein weiteres Reisebuch über die Lombardei,
Venetien, Ligurien und die Toskana. Unter Rückgriff auf Topoi der
Italienbegeisterung in der deutschen Literatur und Malerei des 19. Jahrhunderts
versammelt auch dieses Buch eine Auswahl umgearbeiteter Feuilletons aus den vorangehenden
Jahrzehnten, die thematisch miteinander verbunden und vom Autor geografisch
nach Regionen geordnet wurden. Anhand des Nachlasses lässt sich rekonstruieren,
dass auch die 1960 erschienenen Italienischen Miniaturen mit dem Titel Olivenland
eine Sammlung umgearbeiteter Feuilletons aus verschiedenen Zeiten darstellen. Im
Nachlass findet sich zusätzlich ein undatiertes, zwölfseitiges Typoskript mit
dem Titel Italienischer Herbst. Eine lyrische Suite – eine Hymne auf das
Leben im Einklang mit der zyklischen Natur, in der Versatzstücke aus eigenen
Texten wieder aufgegriffen und zu einer Suite komponiert werden.
Ein weiteres Genre, das Kalenter für die Verschriftlichung seiner Erfahrung Italiens als ewiger Sehnsuchtsort diente, war die Lyrik. In Folge einer Depression, die von einem Aufenthalt im Sanatorium Kilchberg begleitet war, fiel Kalenter das Schreiben Mitte der 1960er-Jahre zunehmend schwer. Anhand von sechs im Nachlass überlieferten Gedichtentwürfen aus dem Jahr 1969 lässt sich aber zeigen, wie Kalenter in Lerici, dem Ort seiner Jugend, wieder zum Schreiben zurückfand.
Quellen
- Franz Menges, Kalenter, Ossip, in: Neue Deutsche Biographie, 11 (1977), S. 56, https://www.deutsche-biographie.de/pnd116031611.html#ndbcontent (21.8.2019).
- Natascha Fuchs, «Der Feuilletonist lebt auf dem Grunde der Menschheit und nährt sich von Zweitdrucken.» Zum Nachlass von Ossip Kalenter (1900–1976), in: Zeitschrift für Germanistik, 3/22 (2012), S. 659–664
- Nachlass Ossip Kalenter, Schweizerisches Literaturarchiv (SLA), Bern.